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‚Hue‘ — ein friendly reminder als Seufzer.

Den vergangenen Jänner trank ich guatemaltekischen Kaffee: Jacindo aus der sehr bekannten Kaffeeanbauregion Huehuetenango, wie sie auch — so war es am Beipackzettel zu lesen — liebevoll nur ‚Hue‘ genannt wird. Das war mir neu; zugleich aber auch nicht, weil wir dies auch seinerzeit in meinem coffee shop-Team taten, ohne zu wissen, dass dies gängige Praxis ist.

Ich habe viel Erfahrung mit Kaffee aus Huehuetenango, weil ich diesen als meine erste Single Origin-Hausröstung verkaufte: Gemeinsam mit meinem damaligen Lieferanten entschied ich am Verkostungstisch, welche Sorte grün eingekauft werden soll und wie sie den Kunden standardmäßig bei uns, eigens mit Markenzeichen gelabelt, zum Verkauf angeboten und serviert werden soll. Das taten wir dann auch über zwei Saisonen. Ich habe also mit einem Kaffee aus Huehuetenango sehr langfristige Erfahrungen gemacht: ich durfte schmecken, wie sich eine Sorte im Laufe der Zeit verändert; sowohl als gerösteter Kaffee, aber auch als Produkt einer Saison — denn auch grüner Kaffee altert. Die Röstcharge erreicht ein Optimum in einem gewissen Zeitfenster, aber auch außerhalb des Röstzyklus finden Veränderungen statt. Man schmeckt wieder Unterschiede, wenn man stets die frischeste Röstung vergleicht.

Wie das mit einem Kaffee des Hauses so ist, sucht man sich was gefälliges aus. Man möchte ja, dass diese erste Wahl auch möglichst vielen Kunden schmeckt und daher Sie nicht in ihren Erwartungen verprellt. Zwei Drittel aller Bestellungen erfordern Milch, dementsprechend wird der Espresso für solche Drinks optimiert. Für einen selbst werden diese Hauskaffees durch solche klugen Entscheidungen also oft auch langweilig. Man ist hier auf der sicheren Seite, auf dem vertrauten, dunklen Geschmacksspektrum: Kakao, Schokolade, Nüsse. Man meint zu wissen, wie er schmeckt und daher ist man selbst meist auf der Suche nach was etwas Aufregenderem.

So war auch dieser Spitzenkaffee Jacindo, einfach ein klassischer Geschmack, der mich trotz seiner warmen Töne, die er anschlug, etwas kalt ließ. ‚Hue‘ halt… Ich wähnte ihn als zwar als alt-vertrauten und grundsoliden Kaffee und trank ihn oft unachtsam, zugleich auf den spektakulären Kaffee aus Kenia schielend, mit seinen sensationellen Fruchtnoten. Bzw. servierte ich ihn als Milchkaffee mit dem sicheren Gefühl, dass dies harmoniere und einem nichts entgeht.

Ein Fehler, wie sich herausstellte: Spät aber doch fand ich Gelegenheit nochmals die Mühle nachzujustieren, die Dosierung leicht zu erhöhen und bewusster zu kosten. Plötzlich leuchtete aus dem dunklen Timbre ein fantastischer Kirschgeschmack hervor, der auch, wie ich mich gleich versicherte, auf der Verpackung vermerkt war. Schön eingebettet in den schokoladigen Grundgeschmack, zierte sie, wie die sprichwörtliche Kirsche on top, in brillanter, (d.h. falscher) Bescheidenheit den Kaffee, den ich zuvor als gut, aber etwas gewöhnlich abqualifizierte. Ich wurde in aller Freundlichkeit daran erinnert, dass man solche Hues nicht unterschätzen soll. Nomen est omen: ein kaum hörbarer Seufzer der Zufriedenheit.