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Der Unterschied, der den Unterschied macht

Der Unterschied, der den Unterschied macht
Ein altes Stockphoto...

Wer hat sich nicht schon mal gefragt, was den Unterschied zwischen einer Melange und einen Cappuccino ausmacht? Holt man etwas weiter aus, spart man sich den Streit, wessen Altwiener Kaffeesieder des Vertrauens es zuerst richtig gemacht hat.

Denn bei der Rede von Kaffee ist Milch ist oft stillschweigend mitgemeint — obwohl sie die Kaffeegetränke mannigfaltig ausdifferenziert. Sie macht für viele Kaffee überhaupt erst zum Genuss; sie ist ein Mittel, ihn als inklusive Erfahrung zu servieren.

Ist das noch Kaffee?

Ich würde vermuten, dass die Zugabe von Milch und Zucker oft genug den Genuss überhaupt erst ermöglichen. Viele brühen ihren dunkel gerösteten, türkischen Kaffee schon mit Zucker und auch anderen Gewürzen: Kardamom, Zimt oder auch Salz. Kindern kann die Tasse, die sie laufend und vehement einfordern auch sukzessive durch die Zugabe von Milch erträglich gemacht werden. Und so gewöhnt man sich auch an den Geschmack. Erzählt aus vergangenen Zeiten wird auch von Farbskalen, nach denen visuell das gewünschte Mischverhältnis bestellt werden konnte.

Die Connaisseure versteifen sich dann wiederum auf den reinen, unverfälschten Genuss, der ja auch ihre Kennerschaft indiziert. Auch mir wird immer wieder unterstellt, dass ich doch selbstverständlich schwarz trinken müsste — was nicht stimmt. Routinemäßig möchte ich auch bei neuen Kaffees stets wissen, wie diese mit Milch harmonieren und ob man sie gut als Melange anbieten kann. Bei einem Kaffeestand in Nürnberg erkundigte ich mich nach dem Angebot an Bohnen, um zu entscheiden, welchen Espresso oder Filter ich trinken möchte. Ich erfuhr im Gegenzug, dass man hier danach entscheidet, je nachdem für welches Mischgetränk mit pflanzlichen Ersatzprodukt man sich entscheidet — und nur solche gab es dort. Schwarzer Kaffee ist dort sekundär. Warum auch nicht? Meiner Erfahrung nach kommen auf jeden Kaffeetrinker zwei Kunden, die eigentlich einen anderen Geschmacksträger trinken, quasi gewürzt mit Espresso.

Immer seltener, aber um so lieber lass ich mich auch einfach so zu einem Kaffee mit Milch hinreißen. Niemals schmecke ich ihn mit einem kleinen Schluck ab oder gar mit Zucker. Insbesondere Letzterer ist mir tatsächlich zuwider; er versüßt auch nicht ausreichend den handelsüblich bitteren Kaffee. Milchkaffees aber sind eine eigene Kategorie von Getränken, die vom erwünschten Ergebnis aus gestaltet werden sollten. Ziel eines solche reverse engineering ist ein stimmiges Verhältnis von zwei nicht ganz gleichwertigen Bestandteilen.

Infrastruktur des Kaffeegeschmacks

Richtig per Dampf temperierte und texturierte Milch ist der Star des Kaffee-Mischgetränks. Der auf die Milch abgestimmte Kaffee ist wie eine Zutat, die dem homogenen, langweilig-süßen Geschmack der Milch im richtigen Verhältnis Raffinesse verleiht. Wie man sich denken kann, gibt es Sorten, die mit Milch ein besonders gefälliges Getränk ergeben:

  • Schokoladentöne machen — richtig! — runde Milchschokolade;
  • ist Karamell dominant, dann erinnert das auch manchmal an Sahnetoffee;
  • ich hatte schon Spekulatius-Assoziationen, ohne einen auf der Untertasse abgelegten Keks zu bemühen — möglich durch entsprechend würzigem Kaffee.
  • Auch fruchtige Charaktere muss man nicht per se ausschließen: daraus ergeben sich mitunter aparte Kombinationen à la Zitronen-Cheesecake.

Manche Röster entwickeln bestimmte Bohnen etwas länger, damit sie sich besser durchsetzen, wenn mit viel Milch getrunken. Von einem ökonomischen Standpunkt aus empfiehlt es sich bei der Auswahl des Herkunftsorts und der Produktion Schritte zu setzen, um die Bestseller der Menüs zu optimieren. Ich schätze, dass dies hierzulande in jedem Café mit etwas Abstand die Milchgetränke mittlerer Größe sind — wie auch immer man sie nennt. Darauf folgen Espressos. Aber alle Milchmischgetränke zusammen genommen (vom kleinen Macchiatto, bis zum Kanister Milch mit einer homöopatischen Menge Espresso) machen sie meiner Erfahrung nach zwei Drittel des Kaffee-Umsatzes aus, vielleicht sogar drei Viertel. Je mehr Tagesgeschäft insgesamt, desto mehr Milchgetränke verkauft man. Klar: die Stammkundschaft kommt wegen dem besonderen Kaffee, den man vielleicht anzubieten hat; die Laufkundschaft, weil man grad der Nächste ist.

Kulturelle Differenzen

Ein Witz: Drei Touristen besuchen ein Wiener Kaffeehaus. Sie studieren dort ausführlich die Karte. Der Herr Ober (wie man in Wien den Kellner zu nennen pflegt) wartet sehr geduldig und notiert, was bestellt wird: „Einen Kaffee Maria Theresia, bitte!“ — „Sehr wohl.“

  • „Für mich gerne einen Einspänner“
  • „Ja.“
  • „Dazu einen … Großen Braunen.“
  • „Gerne.“

Daraufhin geht der Ober hinter den Tresen und ruft in die Küche hinein: „Drei Kaffee für Tisch 14.“

Er wird nicht besser, wenn ich ihn erkläre. Dafür halten wir fest, dass die Wiener Nonchalance auch vor ihrer eigenen Tradition nicht halt macht. Vor allem aber gibt es Niemanden (schon gar keine Autorität), der diese Unterschiede zwischen den sogenannten Kaffeespezialitäten endgültig festlegen kann.

Um die Eigenheit der hiesigen Kaffeehauskultur zu betonen, wird gerne die originale Melange ins Rennen geführt. Der Name ist offensichtlich französisch Ursprungs, lässt sich also in feinstem Schönbrunner Deutsch aussprechen. Dem Wortsinn nach ist sie immer schon eine Mischung gewesen. Man kann also festhalten, dass wir uns in der Domäne jener Kaffeegetränke bewegen, die gemeinsam mit Molkereiprodukten vermischt und serviert werden. Worin diese angewandte Rezeptur genau besteht, wird niemand festlegen können: Für manche ist es das Kakaopulver, das weggelassen wird; Andere nehmen einen Verlängerten, also einen länger gezogenen Kaffee als Grundlage; Ich wurde auch schon darüber aufgeklärt, dass ein Schuss Schlagobers hinzugefügt gehört — der Röster instruierte die Belegschaft so, die ich schulen sollte. Ebensowenig kann geklärt werden, was den Unterschied zu anderen Milchkaffees ausmache, etwa zum Kapuziner? Ein aussagekräftigerer Name; denn er wird mit so viel Milch versetzt, dass seine Farbe jenem Braun der Kapuziner-Mönchskutten gleicht.

Vom Kapuziner stammt wiederum der Cappuccino. Schäumt man mit dem italienischen Espressoarsenal ganz schnell die Milch entsprechend heiß und voluminös, lassen sich große Milchschaumhauben aufbauen, die vor wenigen Jahrzehnten als aufregend appetitlich empfunden wurden. In Neuseeland oder Australien — je nachdem, wen man fragt, die jeweils eigenen Landsleute — fing man an diese explizit abzubestellen; vielleicht wegen des Geschmacks oder aber, um einer potentiellen Mogelpackung vorzugreifen. Wer weiß das schon?

Der Kaffee wurde so fortan weiß, aber flach bestellt: flat white! Wenn man die entsprechenden Tricks und Kniffe beherrscht, lassen sich dekorative Ornamente virtuos in die Tasse zaubern: Herzen, Tulpen, Farne, Schwäne. Und so konnte er heute zum ultimativen Distinktionsmerkmal der urbanen, gediegenen Mittelschicht aufsteigen. Ihre milchhaltigen Marotten der Koffein-Einnahme werden immer wieder in neue Formeln gegossen. Eine Nomenklatur der Kaffee-Kapriolen entsteht, auf der ein Arbeitsethos aufsitzt. Sowohl die Herren von und zu Ober als auch rauschebärtige Barista in Flanell berufen sich darauf, die Wünsche ihrer Stammkunden in nuancierter Weise bedienen zu können – ohne weiterem Kommentar.